Miserable Note für Deutschland

Der zum Internationalen Tag der Menschenrechte neu veröffentlichte Bericht „Freedom of Thought“ attestiert auch der Bundesrepublik gravierende Defizite bei der Gewährleistung der Gedanken-, Meinungs- und Glaubensfreiheit für Bürger ohne religiöses Bekenntnis.

Der Bericht der Internationalen Humanistischen und Ethischen Union (IHEU) dokumentiert umfassend die systematischen Repressionen oder Benachteiligungen, denen sich nichtreligiöse Menschen in fast allen Ländern der Welt ausgesetzt sehen. Der Bericht führt außerdem bekannte Einzelbeispiele für Verletzungen des Menschenrechts auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit auf, wie es in Artikel 18 der am 10. Dezember 1948 verkündeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und den daran anknüpfenden Konventionen und Gesetzen zugesichert wurde.

Der Bundesrepublik Deutschland attestiert der Bericht eine „schwerwiegende Benachteiligung“ von konfessionsfreien und nichtreligiösen Menschen. Zur Begründung werden unter anderem die gesetzlichen Privilegien für die großen Kirchen im Arbeitsrecht, die den Ausschluss konfessionsfreier Arbeitnehmer von der Beschäftigung in den überwiegend oder ganz von der Allgemeinheit finanzierten Sozial-, Gesundheits-, Kultur- und Bildungseinrichtungen erlauben, genannt. Auch die Missstände im staatlichen Bildungssystem sind ein Thema. Die schlechte Bewertung führt der IHEU-Bericht ebenfalls auf den Betrieb von staatlichen Konfessionsschulen zurück, sowie auf das Fehlen einer nichtreligiösen und wertebildenden Alternative zu den ab der ersten Klasse angebotenen Religionsunterrichten in vielen Bundesländern. Zu den im Bericht angesprochenen Problemfeldern zählen ferner die Privilegierung religiöser Gemeinschaften durch Steuer- und Abgabenbefreiungen, besondere Sendeplätze im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sowie Privilegien bei der seelsorgerischen Betreuung von Angehörigen der Bundeswehr. Der IHEU-Bericht weist zur Vertiefung auch auf die vom Humanistischen Verband Deutschlands herausgegebene Informationsbroschüre „Gläserne Wände“ zur systematischen Benachteiligung nichtreligiöser Menschen hin, die detailliertere Informationen enthält und seit 17. September 2015 (www.glaeserne-waende.de) erhältlich ist.

„Nichtreligiöse Menschen in Deutschland müssen wegen ihrer säkularen Lebensauffassung und der Ablehnung eines religiösen Bekenntnisses zwar sicherlich nicht um Leib und Leben fürchten, wie dies leider in rund einem Dutzend Ländern bis heute der Fall ist. Das kann aber nicht wesentlich unsere Feststellung relativieren, dass sich die Bundesrepublik auch in dem neuen Bericht bis heute nur im unteren Mittelfeld wiederfindet“, sagte Frieder Otto Wolf, am Donnerstagvormittag in Berlin dazu. „Die diversen Formen der Benachteiligung und des politisch bewusst gewollten Ausschlusses – ob im Rahmen des sogenannten kirchlichen Arbeitsrechts, beim wertebildenden Unterricht an öffentlichen Schulen oder der Einbeziehung in öffentlichen Gremien, hierzulande sind für uns ebenso inakzeptabel wie die Gewalt und andere Repressionen gegen ‚Ungläubige‘ in andere Ländern“, so Wolf weiter. Er rief die Bundesregierung und die Parteien dazu auf, den Abbau der Ungleichbehandlung und die Verwirklichung einer vollständigen Gleichberechtigung aller Menschen in Deutschland ohne Ansehen ihres religiösen Bekenntnisses als dringend überfällige politische Aufgabe ernst zu nehmen.

Dass dies ohne größere Probleme möglich sei, hätten EU-Mitgliedsstaaten wie die Niederlande und Belgien in den vergangenen Jahrzehnten bereits beispielhaft gezeigt, so Wolf weiter. Zu den zwei Nachbarländern Deutschlands zeigt der aktuelle IHEU-Bericht „Freedom of Thought“ eine einwandfreie Bilanz bei der Gewährleistung des Menschenrechts auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit.

„Dies muss der Bundesrepublik in absehbarer Zukunft ebenfalls gelingen. Die jetzige Platzierung auf Augenhöhe mit Staaten wie Russland, Nigeria oder der Türkei verdeutlicht ziemlich unmissverständlich, dass ein bloßes Weiter-So keine seriöse Handlungsoption für die Politik ist“, sagte Frieder Otto Wolf. Die Zahl der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland ohne religiöses Bekenntnis wachse seit langem kontinuierlich und daher fordert der Humanistische Verband, „dass die Bundesregierung und die Politik ihren Interessen und Anliegen die gleiche Beachtung und ebenso großen Respekt zukommen lassen wie gegenüber den Menschen- und Grundrechten der Bürger und Steuerzahler mit Bekenntnis zum christlichen, jüdischen oder muslimischen Glauben“, so Wolf.

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Der mehr als 500 Seiten umfassende Bericht (in englischer Sprache) der Internationalen Humanistischen und Ethischen Union kann auf dieser Website heruntergeladen werden: www.freethoughtreport.com

Die deutschsprachige Fassung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist hier als PDF-Dokument erhältlich: www.un.org

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